Praktikantin Frau A. – Best Practice Beispiel
Frau A., 21 Jahre jung, hat gerade ihr zweites sehensWert Praktikum im BSVT absolviert. Seit dem letzten Praktikum im Jahre 2016 hat sich viel getan. Damals war sie noch Schülerin der Landesblinden- und Sehbehindertenschule in Innsbruck und hegte schon damals den Wunsch, als Bürokauffrau Fuß zu fassen. Aufgrund ihrer fortschreitenden Augenerkrankung Retinopathia pigmentosa mit Bardet-Biedl-Syndrom, welche klassischerweise im Jugendalter zu merkbaren Beeinträchtigungen beim Sehen führt, ist es umso herausfordernder in diesem Alter seinen Platz in der Arbeitswelt zu finden. So ergibt sich der Übergang von der Schule in eine Einrichtung der Lebenshilfe Tirol zum Thema Arbeit und Beschäftigung. Dies erwies sich jedoch nicht als geeignet für Frau A., denn sie wollte ja eine „richtige Arbeitsstelle“ mit einem fairen monatlichen Einkommen, um ihre Selbstständigkeit, Unabhängigkeit und Teilhabe zu erhöhen. Da sie aufgrund ihrer Sehleistung vermehrt auf assistierende Technologien angewiesen ist und auch gemäß dem Berufsbild der Bürokauffrau sehr viel computergestützt arbeiten muss, entschließt sich Frau A. in die Qualifizierungsmaßnahme „Job-Fit für Mädels“ bei Innovia einzusteigen. Hier lernt sie neben wichtigen Schlüsselkompetenzen im Sinne der Berufsqualifizierung auch Basiskenntnisse im EDV Bereich und bekommt obendrein Unterstützung bei der Praktikumssuche. Über diese Maßnahme nimmt Frau A. wieder Kontakt mit dem Projekt sehensWert auf. Anfänglich um ihr Sehvermögen abklären zu lassen und um herauszufinden wie gut das Arbeiten am Computer funktioniert. Hierin ergibt sich, dass das Arbeiten mit Vergrößerungssoftware leider nicht mehr ausreichend ist und die Verwendung einer Sprachausgabe mittels Screenreader und einer Braillezeile unausweichlich ist. Obwohl Frau A. beides schon besitzt und zu einem gewissen Grad nutzt, scheint es basierend auf den Abklärungsergebnissen als ratsam, den Umgang damit intensiv zu schulen. Auch die blindenspezifische Nutzung des Kommunikationsmediums Iphone soll trainiert werden sowie die Orientierung und Mobilität von für die berufliche Qualifizierung wichtiger Wege. Folglich wurde gemeinsam ein weiteres sehensWert Praktikum ins Auge gefasst. Dann kam Corona und das Praktikum konnte nicht realisiert werden. Zwischenzeitlich wechselte Frau A. von der Maßnahme bei Innovia zur Leistung des TTHG (mittendrin der Arbas Tirol). Vorbereitend auf das Praktikum wurden sodann in enger Zusammenarbeit mit der mittendrin Assistenz und Frau A. die Ziele fürs Praktikum erarbeitet:
Als oberstes Ziel wurde festgelegt, Frau A. in der Nutzung von assistierenden Technologien und Kommunikationsmedien weitestgehend zu fördern. In einem Ausmaß von ca. 50 Stunden wurden folgende Themen dazu behandelt: Umgang mit Screenreadersoftware JAWS und Braillezeile, genauer Nutzung von Kurzbefehlen, Navigieren in Tabellen, Cursor Routing, Nutzung der MS Office Programme, vor allem Word und Outlook. Die Navigation im Internet konnte aufgrund der fehlenden digitalen Barrierefreiheit nur sehr elementar umgesetzt werden. Im Verlauf des Praktikums wurde aus gegebenem Anlass das Thema Brailleschrift lesen in die Zielsetzung mitaufgenommen. Im Umgang mit dem Kommunikationsmedium Iphone wurden blindenspezifische Funktionen und Apps intensiv trainiert. Darunter die Mobilitätsapps Bus Bahn Bim und VVT, Seeing AI und Prizmo Go vor allem zum Erfassen von Texten, Standardfunktionen wie Voice Over, Kalendereinträge sowie verschiedene Gesten. Außerdem wurden praktische Hilfsmittel wie Penfriend, Milestone, Scanilo und I-fix unter die Lupe genommen.
Für Nebenziele wurden ca. 10 Stunden mit Schwerpunkt Berufsorientierung und -qualifizierung zum Berufsbild der Bürokauffrau vereinbart. Dies umfasste die Auseinandersetzung mit ihrer Sehbehinderung, Bewerbungstraining sowie praktische Arbeiten.
Eine weitere bedeutende Zielsetzung betraf die Orientierung und Mobilität. So wurde der Weg zum BSVT und zurück nach Hause, um diesen möglichst selbstständig zu bewältigen, trainiert. Dazu hatte Frau A. mit Mobilitätstrainerin Frau Hitthaler bereits vor und auch während dem zweiten Praktikum mehrere Trainingseinheiten.
Im Frühsommer dieses Jahres konnte Frau A. endlich mit dem zweiten sehensWert Praktikum starten. Die genannten Ziele wurden umgesetzt und haben wieder neue Erkenntnisse und Anknüpfungspunkte enthüllt. Da bei Frau A. durch ihr Syndrom eine Mehrfachbehinderung besteht, welche sich unter anderem durch Lernschwierigkeiten oder auch eine reduzierte Sensibilität in ihren Fingerkuppen äußert, und sie zudem eine nicht-deutsche Muttersprache besitzt, führt das zu nachhaltigen Herausforderungen. Frau A. ist darauf angewiesen Texte und Gesprochenes in leichter Sprache zu erhalten. Auch das Lesen der Brailleschrift ist verstärkt zu trainieren. So kann sie wiederum die deutsche Sprache über Lesen festigen.
Nun stehen bei Frau A. mehrere Vorstellungsgespräche an, bei denen sie ihre mittendrin Assistentin Frau Volgger unterstützt. Das Projekt sehensWert steht dabei mittels Beratung bei der Arbeitsplatzgestaltung sowie bei der Orientierung und Mobilität für den Arbeits- bzw. Praktikumsweg im Falle einer Zusage zur Seite. Mit Unterstützung der mittendrin Assistentin ist sie aktuell beim Akquirieren einer persönlichen Assistenz am Arbeitsplatz (PAA). Gemeinsam mit dem Netzwerk von mittendrin und der technischen Assistenz der Arbas Tirol und der PAA über die Interessensvertretung „Selbstbestimmt Leben“ (SL) soll es Frau Frau A. gelingen eine Teilqualifizierung im Bürobereich anzustreben. Ab der Ausbildung würde Frau A. von der „Berufsausbildungsassistenz“ (BAS) begleitet werden. Ein sanfter Übergang innerhalb der Arbas Tirol würde in diesem Fall gestaltet werden.