Sehbehinderten Menschen eine Berufschance geben
Für eine erfolgreiche Integration sehbehinderter Menschen in den Arbeitsmarkt braucht es vor allem zwei Ingredienzien: Klarheit auf Seiten der ArbeitnehmerInnen und Aufgeschlossenheit auf Seiten der ArbeitgeberInnen. Das Diskriminierungsverbot und Projekte wie „sehensWert – Berufsorientierung und –qualifizierung für Blinde und Sehbehinderte in Tirol“ bilden den gesetzlichen Rahmen auf der einen und Umsetzungsunterstützung auf der anderen Seite. Die Beispiele von Daniel und Markus zeigen, wie es funktionieren kann.
„Die Lage für begünstigt Behinderte auf dem Arbeitsmarkt ist angespannt, viele möchten arbeiten, erhalten aber nicht die Chance“, erläutert Dr. Karin Klocker, Leiterin des Sozialministeriumservice Landesstelle Tirol, die Lage. „Die wirtschaftliche Situation allgemein und die noch immer vorherrschenden Vorurteile der Unternehmen führen dazu, dass die Arbeitslosigkeit von begünstigt Behinderten höher ist als allgemein.“ Laut AMS Tirol stieg die allgemeine Arbeitslosigkeit im Vergleich der Jahre 2013 und 2014 um 9,7 Prozent. Die Zahl der Arbeitslosen mit gesundheitlichen Einschränkungen erhöhte sich im selben Zeitraum um 24,2 Prozent. Karin Klocker wird noch konkreter, was den Personenkreis der begünstigt Behinderten anbelangt, zu dem blinde und sehbehinderte Personen zählen. „Zu Jahresbeginn 2015 gehören 6.819 Personen zum Kreis der begünstigt Behinderten. Davon sind 4.241 Personen erwerbstätig (62,2 Prozent). Ein Jahr zuvor waren es 4.167 Personen bei insgesamt 6.555 begünstigt Behinderten (63,6 Prozent).“ Um Menschen mit Einschränkungen gleiche Chancen und Perspektiven für ihr Leben zu bieten, entwickelte das Sozialministeriumservice Tirol Projekte.
Unterstützung für ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen
Je nach Behinderung braucht es mehr oder weniger Unterstützung. Diese wird durch das Sozialministeriumservice beauftragt und finanziert. Das Projekt „sehensWert-Berufsorientierung und -qualifizierung für Blinde und Sehbehinderte“ im Blinden- und Sehbehindertenverband Tirol ist eines davon. Seit 2008 bereitet es Menschen im berufsfähigen Alter erstmalig oder erneut auf den Arbeitsalltag vor. Über 300 Personen zwischen 15 und 65 Jahren wurden in den vergangenen acht Jahren begleitet. „Wenn eine sehbehinderte Person so gut wie möglich über ihre Behinderung und über ihren Berufswunsch Bescheid weiß, den Bedarf an Hilfsmitteln kennt und diesen klar formuliert, ist sie optimal auf den Arbeitsmarkt vorbereitet. Damit eine Anstellung zustande kommt, braucht es auf der anderen Seite die Aufgeschlossenheit einer Arbeitgeberin/eines Arbeitgebers“, so Mag.a Carmen Natter, Leiterin des Projekts „sehensWert“.
Berufsspektrum
Das Berufsspektrum blinder und sehbehinderter Personen ist vielfältig. Es reicht von den Klassikern wie TelefonistInnen und BüroarbeiterInnen (außer Telefonie) über SozialarbeiterInnen, PsychologInnen, PhysikerInnen, TheologInnen, LehrerInnen oder MetallarbeiterInnen bis hin zum Kellner/zur Kellnerin oder Koch/Köchin. Die ehemaligen Projektklienten Daniel (Koch) und Markus (Metallarbeiter) stellen wir im Folgenden vor.
Daniel, 24 Jahre, hochgradig sehbehindert, Koch
„Ich habe von Anfang an gewusst, dass ich Koch werden möchte. Ich fand das einfach cool“, erzählt Daniel Gassler (24 Jahre), der mit einer hochgradigen Sehbehinderung lebt und nach seiner erfolgreich absolvierten Lehre heute als Koch im Nothburgaheim in Innsbruck arbeitet. Er übernimmt vor allem vorbereitende Tätigkeiten. Weil Daniel so wenig sieht, muss er fürs Gemüseschneiden sich mit dem Gesicht ganz nah übers Schneidbrett beugen. Vom Projekt „sehensWert“ begleitet, bereitete er sich auf seine Lehre vor. Er erhielt eine Arbeitsplatzbegleitung und -analyse, die besonders für seinen Lehrgeber eine große Hilfe darstellte. Sein Ziel war es, so selbstbestimmt wie möglich zu leben. Da gehört die Arbeit einfach dazu und heute ist er seit fünf Jahren im Nothburgaheim tätig.
Motivation und Erfolg
„Durch die Begleitung und die Analyse haben wir viel gelernt. Aber ich muss sagen, dass auch unsere Haltung in der Arbeit extrem wichtig ist“, erzählt Thomas Furtner, Küchenchef und Vorgesetzter von Daniel. „Die Kunst der Integration besteht nicht darin, nur das Gefühl zu geben, gebraucht zu werden, sondern wirklich gebraucht zu sein. Dafür haben wir einen guten Rahmen für alle entwickelt, die im Team arbeiten. Herzensbildung als Kompetenz des Vorgesetzten ist dabei wesentlich“, so Furtner weiter.
Markus, 21 Jahre, hochgradig sehbehindert, Metallarbeiter
Markus arbeitet seit fünf Jahren beim international tätigen Luft-, Staub- und Abgastechnikunternehmen Gallzeiner im Tiroler Unterland. „Ich wollte etwas Handwerkliches machen. Zunächst habe ich bei den Korbflechtern geschnuppert, aber gleich wieder abgebrochen“, erzählt Markus, der dort keine Zukunft für sich sah. „Als ich zum Praktikums-Vorstellungsgespräch bei Gallzeiner gegangen bin, da hab ich gleich gesehen, dass mir das gefällt. Diese großen Anlangen und Maschinen haben mir sehr imponiert.“ Aufgrund seiner fortschreitenden Sehbehinderung – Markus hat ein eingeschränktes Sichtfeld – stößt er sich immer wieder mal an. Doch das macht ihm nichts aus. Wenn er um die Ecke eines Gebäudes geht, dann verlangsamt er seinen Schritt, damit er rechtzeitig stehenbleiben kann, wenn ihm jemand unverhofft entgegenkommen sollte. Das Planlesen übernehmen seine Kollegen. Rohre abmessen und Lüftungsgitter montieren stellen kein Problem dar. „Markus ist ein sehr motivierter Mitarbeiter. Und damit das so bleibt, berücksichtige ich bei der Arbeitseinteilung, dass er jene Arbeiten zugeteilt bekommt, die er auch gut bewältigen kann“, erklärt Heinz Windisch, Geschäftsführer von Gallzeiner.
Sensibilisierung und Rücksicht
Markus hat sowohl seine Lehre als auch seine Gesellenprüfung bei Gallzeiner abgeschlossen und ist damit schon seit fünfeinhalb Jahren fixer Bestandteil im Betrieb. Zu Beginn seines Lehrverhältnisses nahm ein sehensWert-Berater eine Betriebsbesichtigung vor und analysierte die Arbeitsumgebung und den Arbeitsweg im Hinblick auf Beleuchtung, Blendung, Stolperfallen und andere Gefahrenbereiche. Es wurden gemeinsam mit Markus Kompensationsstrategien erarbeitet und dort, wo die Sehbehinderung die Grenzen aufzeigt, wurden mögliche Bereiche analysiert, in denen Markus nicht arbeiten kann. Zudem wurden Heinz Windisch und Mitarbeiter von Markus auf seine Sehbehinderung hin sensibilisiert. „Es ist möglich und es ist machbar. Ich habe zudem eine große Freude, wenn ich weiß, dass ich einem sehbehinderten Menschen eine Chance gegeben habe, seinem Berufswunsch nachzukommen und er als Gegenleistung eine gute Arbeit liefert“, zeigt sich Heinz Windisch zufrieden.
Chancengleichheit für alle
Im Jahr 2008 wurde die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung durch die Republik Österreich ratifiziert. Damit verpflichtete man sich, die Bestimmungen dieser UN-Konvention in nationalstaatliches Recht zu übernehmen. Diese Ratifizierung reiht sich in das Bemühen um die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung ein. Denn zuvor wurde schon das Behindertengleichstellungspaket entwickelt und in Kraft gesetzt, das ua. vorsieht, dass niemand auf Grund ihrer oder seiner Behinderung diskriminiert werden darf.